Marlen Kühnel

Meine Tiergeschichten

Sterbebegleitung

Wo ist Walli? Ich zähle nochmals mein Rudel: zwei Böcke: ein schwarz-weißer, ein Pinzgauer. Die Mütter werden von ihrem Nachwuchs umringt. Ein kleines, braun-schwarzes Zicklein steht abseits, den Kopf traurig nach unten. Wo ist seine Mutter? Mein Blick schweift über das Gehege. Nichts, ich sehe kein äsendes Tier. Zurück zum Stall, um Futter zu holen. Die Tiere drängen nach vorne, jedes will die beste Ration. Ich öffne das Gatter, schlichte Heu in die Raufen. Kontrolliere die Wasserstelle. Alles in Ordnung. Nochmals durchzählen: jetzt fehlt ein weiteres Tier. Wo ist es? Da entdecke ich Max, den Zuchtbock, weit hinten unterm Zwetschgenbaum. Er senkt seinen Kopf, stupst mit seinen Nüstern etwas an, das am Boden liegt. Da sehe ich Walli. Sie ruht in einer Erdmulde, fast versteckt und gut getarnt. Der Bock streicht liebevoll über ihr Fell. Er hält Wache, scharrt mit den Hufen, blickt mir treu entgegen. Wer einmal in die Augen von Ziegen geschaut hat, wird diesen Blick nie vergessen.

 

Hast du gewusst, dass diese Tiere eckige Pupillen haben? Nein? Ich auch nicht! Heute rühren mich die tiefgründigen Blicke. In ihren Augen spiegeln saftige Wiesen, die Stämme der Obstbäume, die von ihnen gerne geschält werden; sie brauchen die Bitterstoffe als Nahrungsergänzung. Manch Baum wurde ausgezogen, seiner Rinde beraubt. In den Augen spiegeln sich klare Wasserstellen, die Fröhlichkeit ihrer Wesen. Jetzt scheint der Blick von Max traurig; er ist auf Walli gerichtet, die am Boden liegt. In ihren Pupillen sind heute kein wolkenloser Himmel, kein Sonnenlicht. Sie sind dunkel, voll Schmerz. Die Ziege liegt in die Erdwärme gedrückt, regungslos da. Ihr Atem rasselt. Mühsam weicht die Luft aus benässten Nüstern. Meine Hand fährt über den schlanken Kopf, streichelt das Maul. Mühsam dreht sie den Kopf zur Seite, blickt mir entgegen. Ihr Blick erloschen, ihre Fröhlichkeit scheint irgendwo hingeflogen. Erschrocken hole ich Hilfe. Wir tragen das kranke Tier in den Stall, betten es auf warmes Stroh. Der treue Gefährte Max, trottet daneben einher.

 

Walli drückt sich in die warme Unterlage, bleibt liegen. In Kopfnähe schlichte ich frisches Futter, eine Schale mit warmen Wasser. „Wenn sie in den nächsten Stunden nicht aufsteht, besteht höchste Gefahr.“ Ich weiß dies, befürchte es. Der Bauch der Pinzgauer Ziege fühlt sich hart an, ihr Atem rasselt. Der Ruf nach dem Tierarzt bleibt unumgänglich. Hoffnung keimt auf. Kann er das wertvolle Tier retten? Wertvoll? Was ist eine Ziege wert? Aus dem Blickwinkel des Züchters sehr viel. Pinzgauer Ziegen sind eine hoch gefährdete Tierrasse, direkt verwandt mit den Gemsen. Ihre Sprungkraft ist enorm, ihre Geschicklichkeit akrobatengleich. Aus dem Stand werden meterhohe Sprünge vollführt, ihre Hufe finden Halt auf hauchdünnen Übergängen; ihre Welt sind steinige Pfade, Wälder und Almen. Heute gibt es nur mehr dreihundert Stück, mühsam von wenigen Liebhabern weitergezüchtet. Eines dieser Tiere liegt im Sterben. Dunkle Ahnung steigt in mir hoch. Bilder fügen sich an Bilder: die erste Begegnung mit dem Tier: in einem rasenlosen Zaungehege inmitten anderer Ziegen, fristete sie ihr Dasein. Struppig das Fell, glanzlos und stumpf. Von kleinem Wuchs, die Fesseln fast felllos, flüchtete sie in die hinterste Ecke der Unterkunft. Sie war keine Schönheit, trotzdem nahmen wir sie mit. Im Laufe der Monate wurde aus der hässlichen Goas ein wunderschönes Leittier.

 

Ihr braunes Fell glitzerte im Sonnenlicht, die schwarze Rückenzeichnung bot einen schönen Kontrast. Sie gewann einen Revierkampf nach dem anderen, wurde rasch als Leittier anerkannt. Wenn sie mich erspähte, kam sie neugierig angelaufen, stütze ihre Hufe auf meine Unterarme, um besser Äpfel zu pflücken, um in meiner Tasche nachzusehen, ob nicht irgendwo ein Brotkrumen versteckt wäre. Hartes Brot gleicht für Ziegen einem Leckerbissen. Dafür überwinden sie Hindernisse, zwängen sich durch Stallboxen oder laufen aus der Weide, wenn durch Unachtsamkeit der Riegel des Gatters nur lose verschlossen wird. Heute liegt dieses Tier zu meinen Füßen, schwerkrank. Wodurch dieser Zustand ausgelöst wurde, ist mir unbekannt, ja unbegreiflich. Gestern noch war sie lebendig und munter, wie all ihre Gefährten.

 

Die Ankunft des Tierarztes lässt auf sich warten. Endlich! Zu fortgeschrittener Nachtstunde kommt er. Sein besorgter Blick lässt Böses ahnen: eine Lungenentzündung und komplettes Versagen des Pansens sind das Ergebnis seiner Untersuchung. Da können nur Spritzen helfen, wenn überhaupt! Natürlich können jetzt tierfremde Menschen einwerfen, dass sich diese Investition kaum lohne. Natürlich können Stadtbewohner jetzt argumentieren, dass die Kosten des Tierarztes in keinerlei Relation mit dem Wert des Tieres stünden. Vor Jahren hätte ich mich vielleicht an einer ähnlichen Diskussion beteiligt. Hätte den Wert eines Tieres nicht erkannt. Seinen ideellen Wert! Und nur darum geht es. In einem früheren Leben, ohne Tiere, ohne Bezug zu ländlichen Geschehnissen, hätte mich der Tod eines Tieres zwar getroffen, aber niemals berührt. Heute ist dies anders. Ich wachse mit meinen Tieren zusammen. Als völlig Unbedarfte, habe ich eine tiefe Verbindung zu allen Hofbewohnern aufgebaut, die weit über die übliche Pflege hinausgeht. Ich weiß die Geburtsstunde der Zicklein, ohne sie genau wissen zu können. (Tragzeit fünf Monate, Deckzeit unbekannt – da die Böcke sich nicht zuschauen lassen!)  Mein Gefühl oder meine innere Stimme helfen gerade dann in der Nähe der Tiere zu sein, wenn sie mich brauchen. Drei Spritzen dringen unter die Haut.

 

Die Ziege bleibt müde liegen, wendet nur leicht ihren Kopf. „Wenn sie die heutige Nacht überlebt, gibt es vielleicht Hoffnung!“ Vor dem Schlafen geh ich nochmals zum restlichen Rudel und schau nach, wo das mutterlose  Kitz ist. Es hat sich zu den anderen Tieren gelegt. In der Früh eile ich in den Stall. Der Ziege geht es nicht besser, aber sie lebt. Nochmals kommt der Tierarzt. Da steht Walli auf, zupft ihn an seinem Anorak, blickt in die Ampullenschachtel. Mein Herz macht einen Sprung. Wird sie es schaffen? Der Tierarzt gibt mir wenig Hoffnung, zieht die Spritzen auf, tut seine Pflicht, geht. Er ist noch nicht weit, da sackt der Kopf der Ziege zur Seite. Ich habe noch nie ein menschliches Wesen sterben gesehen und doch weiß ich intuitiv, jetzt ist es soweit! Ich eile ins Haus, hole einen Schlafsack, zwei Decken. Zurück im Stall, hülle ich mich in das warme Material, bette den Kopf von Walli in meinem Schoß. Ich streichle den Kopf des Tieres, die Augen bleiben bewegungslos, starr. Ich lausche, beobachte das Tier.

 

Die Atemzüge werden seltener, steif liegt es da. Meine Hand streichelt unablässig über das Fell, so als wollte ich das  Leben, das zu entfliehen sucht, zurückstreichen. Der Kopf hat keinen Halt mehr. Liebevoll bette ich ihn auf meine Oberschenkel. Noch ein Atemzug? Ja: einer? Dann: keiner mehr! Ein Ruck geht durch das Tier, es streckt alle Viere von sich. „Alle Viere von sich strecken“, wie oft verwendet die Sprache diese Formulierung! Erst heute begreife ich die vielzitierte Aussage. Im Augenblick des letzten Atemzugs kommt das Kitz von Walli zur Stallbox herein. Es stellt sich neben die Mutter, so als wollte es Abschied nehmen. Ich lasse meinen Tränen freien Lauf, halte die Ziege im Arm und tröste mit beruhigenden Worten das Kitz. Dann streiche ich über den Kopf von Walli und schließe ihre Augen. Eine Stunde verharre ich in der Kälte der Stallbox, bis ich mich langsam erhebe. So friedlich sterben, welch Trost! In warme Arme gebettet, gehalten, gestreichelt, ja, so könnte auch ich hinüberschlafen! Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod oder der letzten Stunde. Walli hat mir gezeigt, wie friedvoll dies geht. Ich decke das Tier zu.

 

Zwei Tage später kommt die Tierverwertung. Und vielleicht wirst gerade du jene Seife verwenden, die aus den Resten meiner Ziege entstanden ist. Der Kreislauf der Natur wird nie unterbrochen. Walli hat ein wunderschönes Kitz hinterlassen, das sich behaupten muss, denn die mütterliche Verteidigung gibt es nicht mehr. Doch es hat Ersatz gefunden: heute versteckt es sich hinter meinen Beinen, wenn andere Tiere es malträtieren. Und ich bin sicher, nächstes Jahr, wenn es groß und schön wie seine Mutter ist, wird es das neue Leittier. Mir bleibt als Trost viel über das Leben gelernt zu haben. Dieses Wissen hilft mir in der weiteren Zucht und im Umgang mit Menschen. „Von der Wiege bis zum Tod“, ich erlebe diese Aussage mit meinen Tieren, schöpfe daraus Reichtum, Energie, und Lebensfreude. Wer je einen Goassprung gesehen hat, weiß, was ich meine!

Geburtshilfe


Du kannst viel in Büchern lesen. Auch über die Geburtshilfe bei Ziegen. Wenn es aber soweit ist, nützt kein Überlegen mehr. Und so habe auch ich intuitiv das Richtige gemacht .. ich war Hebamme! Die Pinzgauer Ziegen sind zwar Wildtiere und werfen ihre Kitz allein, manchmal jedoch ist Unterstützung angesagt ...



Resi, gerade einmal einen Tag alt, kuschelt auf meinem Schoß. Meine Finger streichen fast automatisch durch weiches Ziegenfell. Die weißen Ohren stehen senkrecht nach oben, die kleine Schnauze gräbt sich in meinen Anorak. Rosi, die stolze Mama, ist aus der Stallbox gelaufen, sucht draußen nach Futter. Auf der anderen Seite der Hölzer gibt es sicher mehr Leckeres. Das Kleine meckert hinter der Mutter her. Sie hört es nicht, der Futtertrieb ist zu stark. So streichle ich das weiche Fell, spüre Glück und Zufriedenheit. Es gesundes Kitz, einen Tag alt, sichert die Fortpflanzung von Rosi. Sie ist schon ein erfahrenes Muttertier, hat sie letztes Jahr ein gesundes Zicklein auf die Welt gebracht und vorbildlich aufgezogen.


Heuer, bei meinem Beobachtungsrundgang durch den Stall, habe ich sofort erkannt, dass ihre Wehen eingesetzt haben. Ihr Rücken krümmte sich, sie dehnte und streckte sich und ließ ein leises, wehleidiges Meckern hören. Dann legte sie sich mit dem Rücken an die schützende Stallmauer. Regu, ihr einjähriges Kitz, legte sich eng an die Mutter, so als wollte sie die Leidende beschützen, ihr Mut zusprechen. Ich verlasse den Stall, lasse die Beiden in Ruhe.
Zwei Stunden später steht Rosi stolz vor einem gerade geborenen Kitz und leckt es ab. Regu steht daneben und beobachtet das Geschehen. Ich hole sie aus der Box, damit das Neugeborene in Ruhe versorgt werden kann. Ihre Nachbarin geht mit wilden Hornangriffen auf sie los. Also wieder raus aus der Nachbarbox und zu den zwei Mädchen, deren Mütter ebenfalls geworfen haben. Auch hier ist sie störender Eindringling und wird bekämpft, angegriffen und durch die Box gejagt. Ich bringe den kämpfenden Goaßen Futter. Das lenkt sie ab und sie beruhigen sich etwas. Dann gehe ich beruhigt aus dem Stall.


Nach einer Stunde kehre ich zurück und traue meinen Augen nicht, als ich sehe, dass Regu an die Stallwand gedrückt liegt und die Fruchtblase sichtbar wird. Zuerst glaube ich an eine Sinnestäuschung, das Kleine ist ja selbst noch ein Kind und nun knapp vor dem Werfen? Also raus mit den zwei Mädchen. Dann höre ich die Gebärende schreien. Die Geburt hat eingesetzt, es tut weh. Sie dreht den Kopf nach hinten, schreit und meckert herzerweichend. Ich massiere den Bauch, rede ihr gut zu. Da taucht ein kleiner weißer Kopf in der Fruchtblase auf. Ich sehe einen Huf. Wieder Geschrei, wieder Massage. Schließlich kommt der Kopf weiter zum Vorschein. Ich strecke meine Finger in den Geburtskanal und ertaste den Vorderlauf, der umgeknickt ist. Bei der nächsten Wehe ziehe ich etwas mit und schon flutscht der kleine Bock ins Leben. Er meckert leise. Der Schleim auf seinem Kopf und vor den Nüstern wird entfernt, dann lege ich den meckernden Erdenbürger vor die Nase der erschöpften Ziege. Sie beginnt ihren Kleinen sofort abzulecken. Also hat sie ihn angenommen. Gerührt betrachte ich diesen Vorgang. Dann richte ich für die beiden ausquartierten Mädchen eine neue Box. Strohballen holen, ausstreuen, frisches Wasser nachfüllen. Die Übersiedlung ist fertig, die beiden können einziehen. Daneben ein rührendes Bild. Regu kümmert sich intensiv um ihren weiß-schwarzen Nachwuchs.


Meine Beobachtungen ergeben, dass der Kleine noch nicht getrunken hat. Ich stelle den Wecker auf ein Uhr nachts. Stehe auf, torkle in den Stall, binde die Mutter an und möchte den Kleinen trinken lassen. Sie weiß nicht, wie ihr geschieht, springt jedesmal davon, weicht mit ihrem Hinterteil aus, lässt den Kleinen nicht unter ihren Bauch und in Richtung Zitzen stolpern. Er sucht schon Nahrung, saugt am Finger. Also wieder in die Küche zurück, Flascherl zubereiten. Um acht Uhr in der Früh nochmals die Prozedur. Ziege anbinden, den kleinen Bock unter die Zitzen stellen, er tut nichts, ist zu klein, noch zu schwach, um die Zitzen überhaupt zu finden, geschweige denn davon zu trinken. Wenn ich ihn darunterhalte, fällt er um, meckert kläglich. So wird das nichts. Also Flascherl reichen. Er säuft gierig. Dann legt er sich in eine Mulde. Einige Stunden später: Kontrolle. Der kleine Bock liegt an die Mutter angekuschelt. Es scheint alles in Ordnung. Weitere zwei Stunden später. Er hat sich in ein Strohloch gegraben, schreit dazwischen. Die Mama schleckt ihn ab. Sie verständigen sich meckernd. Ich überprüfe die Zitzen und stelle fest, sie sind einfach ungeeignet zum Trinken. Ganz klein, kaum zu greifen, kaum zu finden. Die Milch, die dann doch herauskommt, ist keine Bistmilch. (Die Anfangsmilch, die lebensnotwendig ist und alle Stoffe enthält, die der Nachwuchs braucht) Ich bin beruhigt, anscheinend hat der kleine Bock doch schon getrunken. Weitere drei Stunden später. Die Mutter steht wehleidig meckernd vor dem Kleinen. Er rührt sich nicht mehr. Ist zwar noch warm, der Kopf hängt aber zur Seite, die Zunge steht aus den Zähnen. Der Kleine ist tot. Nicht einmal vierundzwanzig Stunden hat sein kurzes Ziegenleben gedauert. Ich bin sehr traurig. War ich gestern noch stolz auf meine Geburtshilfe, ist heute alles anders. Wieder ist ein Tier in den Himmel unterwegs. Die Kleine war zu klein, um sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. Ich vielleicht nicht aufmerksam genug, um zu helfen.

 

Auf der anderen Seite habe ich schon verstanden, dass die Natur immer alles regelt. Zu schwache Tiere werden ausgeschieden, aus dem Nest geworfen, verenden, werden nicht beleckt oder nicht gefüttert. Bei dem kleinen Bock handelte es sich um ein Inzuchttier. Der Vater hatte seine Tochter mit gerade sieben Monaten gedeckt. Das sollte nicht sein. Auch wenn die Gesetze der Natur solche Ausrutscher gleich regeln, tut es weh, wieder ein nach außen gesundes Tier begraben zu müssen. Das Wehgeschrei der Mutter ist noch lange zu hören. Sie sucht ihren Kleinen, den ich weggetragen habe. Sie schnuppert an der Mulde, in der er gelegen hat. Sie steigt auf das Fenster, um auch dort nachzusehen, ob er nicht vielleicht irgendwo ist. Traurig wird sie heute schlafen, allein, die zweite Nacht getrennt von ihrer Mutter, verwaist von ihrem Kitz. Ich würde ihr gerne helfen, kann es nicht. Zwei Tage lang hat sie geweint, laut gemeckert, ihren Nachwuchs gesucht. Heute Nacht, am Rosenmontag, zwischen Mitternacht und ein Uhr früh, besagt die Mär, reden die Tiere. Die Bauern gehen in den Stall und hören zu, was ihnen die Tiere zu sagen haben. Vielleicht erzählt mir Regu dann, warum sie heute Nacht allein schlafen muss und nach fünf Monaten Tragzeit ihren Nachwuchs verloren hat. Rund um sie meckern die anderen Neugeborenen. Ein interessantes Phänomen ist, wenn eine Ziege Nachwuchs bekommt und das neue Meckern den Stall erfüllt, geht bei den wartenden Goaßen ebenfalls die Geburt los. So werfen oft viele Ziegen innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen. Regu steht inmitten der Plauderei von Müttern und Kindern allein und tut mir unendlich leid. Sie bekommt dafür eine extra Futterration und viele Streicheleinheiten.


Nach einigen Tagen, als Rosi mit ihrer Resi aus der Stallbox kam und sich wieder in die Herde einordnete, durfte Regu wieder zu ihrer Mutter. Die Familie ist jetzt zu Dritt und liegt in den Nächten eng beisammen. Vielleicht ist Regu nächstes Jahr erwachsen genug ein Kitz aufzuziehen. Wir haben jedenfalls einen neuen Bock, der sie decken darf.


P.S. Ein Jahr später. Regu ist glückliche Mama. Diesmal hat es geklappt.

Die Wildenten



Letztes Jahr habe ich am Kleintiermarkt in Vitis Entenküken gekauft. (Wer übrigens einen originellen Kleintiermarkt erleben will, sollte dorthin fahren!) Wir wollten für unseren Teich ein Wildentenpaar haben und waren sehr neugierig, was sich aus den kleinen gelben Wollbällchen entwickeln würde. Zuerst nahmen die Kleinen im Stall Einzug, wurden mit Körnern gefüttert und plantschten nach einiger Zeit auch in der Wasserschüssel herum. Als sie groß genug waren, wurden sie ans Entenhaus gewöhnt, das am Rande des Teichs steht. Dann durfte die Ente ins Wasser, der Erpel musste im Haus warten. Diese Prozedur machten wir zweimal abwechselnd, bis wir sicher waren, dass sie ihre Heimat entdeckt hatten und bleiben würden. Und so war es auch. Aus dem Entenküken entwickelte sich ein stolzes, wunderschönes Paar; der Erpel glänzte durch seinen grünen Hals, seine grau-braun-blauen Federn und umschwärmte seine „Dame“. Die Beiden waren unzertrennlich, plantschten fröhlich im Wasser, nahmen Sonnenbäder am Rande des Teichs und gewöhnten sich auch an die anderen Tiere des Hofs ohne Angst zu haben und sofort ins Wasser zu flüchten. Katzen, Hunde und Hühner, alle vertragen sich und respektieren das „Hoheitsgebiet“ der Anderen.

 

Am Abend stiegen die Enten aus dem Wasser auf, schwangen sich in die Lüfte, flogen Richtung Wald und gingen auf Entdeckungsreise. Sie kamen immer wieder zurück und waren in der Früh die ersten, die bereits auf den Watschelbeinen unterwegs waren. Eines Herbsttages hörten wir einen Schuss – und die Ente kam allein von ihrem Streifzug zurück. Sie trug ihr Witwendasein mit großer Verzweiflung. Enten bleiben ihr Leben lang monogam. Sie schnatterte in einem fort, so als wollte sie uns einladen doch in ihrer Nähe zu bleiben, damit sie nicht allein sein muss. Als die Tage kälter wurden und sich der erste Schnee ankündigte, kam die Ente wieder in den Stall und fand in unseren beiden Hühnern willkommene Gesellschaft. Die drei Tiere fraßen gemeinsam, gingen im Stall spazieren und flüchteten sich zu Dritt in eine Ecke, wenn man ihnen zu nahe kam. Nur die Nachtruhe verbrachten sie getrennt: die Hühner auf der obersten Stange und die Ente ebenerdig in einem Nest aus Stroh.

 

Ende Jänner hielt ein neuer, wunderschöner Erpel Einzug auf unseren Hof. Wir wollten die verwitwete Ente nicht länger ohne Partner lassen. Das Spektakel, das sich  uns bot, war wirklich großartig. Der Erpel watschelte zögernd in seine neue Behausung. Die Ente beobachtete ihn einige Minuten, dann begann sie vor ihm auf und abzumarschieren. Ihr Oberkörper wackelte nach oben und unten, sie schien Verbeugungen vor ihm zu machen, leichte Knicks anzudeuten, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Begleitet wurden ihre tänzerischen Verführungskünste natürlich durch ein aufgeregtes Schnattern. Und wirklich: der Erpel biss an: Er fing nun auch an um sie herumzutänzeln, schnatterte ebenfalls aufgeregt und zog sich mit seiner neuen Eroberung in eine Ecke zurück. Die Hühner wurden ab diesem Zeitpunkt ignoriert; alles war ausgeglichen: zwei Hühner auf der Stange und zwei Enten im Stroh. Wenn es bei den Menschen auch so wäre? Nach zehn Minuten „beschnuppern“ wird das neue Männchen akzeptiert und ihm ein Leben lang die Treue gehalten. Das wäre doch nachahmenswert! Im Frühling watschelte die Ente zum Wasser voraus, dicht dahinter der Erpel. Wochenlang amüsierten wir uns darüber, dass er ihr auf Watschelschritt und Tritt folgte; auch im Wasser war er immer einige Entenlängen hinter ihr und folgte ihr aufmerksam. Seine Scheu vor den großen Hunden legte er ebenfalls ab, und auch die Katzen wurden seine Freunde. 

 

Eines Morgens ging nur mehr ein Huhn spazieren. Das zweite blieb auf dem Nest sitzen und brütete eine große Menge an Eiern aus, die sie jeden Tag noch vermehrte. Vom Teichrand beobachtete das Huhn die beiden Enten neugierig, wollte es doch Gesellschaft und nicht allein bleiben; Und wirklich, ihr Wunsch wurde erhört. Auch die Ente zog sich stundenweise zurück um ein geeignetes Versteck für ihr Nest zu finden. Das behagliche Entenhaus war ihr anscheinend zu unsicher.  Ich ging auf Suche, wollte ich doch sicher sein, dass der Grund ihrer Abwesenheit nur die Angst um den Nachwuchs war. Plötzlich blieb der Vorsteherhund  vor einem tiefhängenden Ast stehen, den wir überhaupt nicht beachtet hätten. Darunter verbarg sich die Ente, gut getarnt und für die Umwelt durch ihr Federkleid, in der gleichen Farbe wie das Astwerk, unsichtbar. Nur  nicht für den Hund, der sie mit seinem Jagdinstinkt aufgestöbert hatte. Die Ente verstand diesen Schicksalswink und fand ein anderes Versteck, das der Hund bis heute nicht entdeckt hat und ich verrate es auch nicht. Jetzt gab es zwei Strohwitwer: ein Huhn und den Erpel, deren jeweilige Partner mit dem Ausbrüten der Eier beschäftigt waren. So gesellte sich also der Erpel zum Huhn und geht mit ihm spazieren. In den frühen Morgenstunden drehen die Beiden gemeinsam ihre Hofrunden, plantschen in den Pfützen und warten der Dinge, die da kommen. Das Huhn hat sich im Hundestall einquartiert und übernachtet neben den mächtigen Hofbewachern. Der Erpel zieht sich in der Nacht ins Schilfgras zurück, um am Morgen wieder seine Freundin zu suchen und mit ihr den Tag zu verbringen. Die Beiden zu beobachte, lässt uns immer wieder schmunzeln und den Tag fröhlich beginnen. In der Zwischenzeit haben sieben Küken das Licht der Hühnerwelt erblickt, im Stall piepst es um die Wette. Bald wird das Huhn zu ihren Artgenossen zurückkehren.

 

Die Ente brütet um eine Woche länger und wir warten gespannt auf den ersten Spaziergang und Schwimmversuche der kleinen Wollbällchen. Vorsicht ist allerdings geboten, wenn der Erpel das erste Mal „seinen Nachwuchs“ zu Gesicht bekommt. Es gibt sehr fürsorgliche Enterichs, aber auch solche die aus Eifersucht auf die Kleinen losgehen. Wir hoffen doch, dass wir einen friedlichen Erpel im Haus haben  und so wie er sich bis jetzt verhalten hat, rechnen wir fest damit. Fast auf den Tag genau hat sich in einem Jahr aus unserem Entenpaar eine kleine Entenschar entwickelt und wir freuen uns über den Nachwuchs. Ein wolliges Küken in der Hand zu halten, ist jedes Mal ein kleines Wunder. Aus einem Pünktchen entwickelt sich ein fertiges Lebewesen, das von der ersten Sekunde an selbständig fressen, trinken kann, sich putzt, auf einem Beinchen steht und – bei den Enten – schwimmen kann. Wie ungeschickt ist doch der Mensch. Er muss monatelang üben, bis ihm all das gelingt, was die Tiere gleich nach der Geburt können. Welch Vielfalt steckt in der Tierwelt! Natürlich gibt es wichtigeres zu tun, als Tiere zu beobachten. Aber wir können viel von ihrem Verhalten lernen und daher gibt es vielleicht doch nichts Wichtigeres zu tun! Ich weiß jedenfalls heute, dass der Erpel, als einziger Vogel, einen Penis hat. Hast Du das auch gewusst? Und dass es ihm großen Spass macht im Wasser auf seine Entenfrau zu springen. Dazu hält er sie am Kopf fest und achtet darauf, dass sie dabei nicht untergeht. Nach dem sekundenlangen Liebesspiel tauchen und spritzen die beiden selig, wackeln mit ihren Schwanzfedern und freuen sich ihres Glücks. So einfach kann Leben sein!